Kindeswohlgefährdung - ein ernstes Thema stand beim SSV Elspe auf dem Programm, an dem rund 40 Vereinsmitglieder teilnahmen. „Wir müssen sensibler dafür werden“, warb Matthias Heer vom Kreisjugendamt um Verständnis für ein Problem, das immer virulenter wird.
„Eins zu fuffzehn“ nennt Heer seinen Vortrag, und das aus gutem Grund: Im Jahr 2023 registrierte die Polizei fast 20.000 Fälle von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, 16.375 Fälle von Missbrauch, 3443 Fälle von Misshandlung. Das ist nur die Spitze eines dunklen Eisbergs, denn die Dunkelziffer liege um den Faktor 15 höher, sagt Heer. „Das müssen Sie sich einmal vorstellen: 280.000 Fälle von Kindeswohlgefährdung jedes Jahr, von denen niemand etwas mitbekommt!“
Matthias Heer arbeitet seit 35 Jahren beim Kreisjugendamt Olpe mit dem Schwerpunkt Kindeswohlgefährdung. 15 bis 20 Veranstaltungen dieser Art hält er pro Jahr ab, jetzt aktuell beim SSV Elspe. Ist da vielleicht etwas geschehen? Nein, an diesem Abend, so Heer, gehe es um die Ausbildung von „Schutzengeln für junge Menschen“. Diese Art von Aufklärung und Zertifizierung betrifft nicht nur Sportvereine, sondern alle Träger, die eine Jugendabteilung betreiben. „Betrachten Sie diesen Kurs wie einen Erste-Hilfe-Kurs, Sie erwerben Wissen, um es verwenden zu können, aber in der Hoffnung, es nie anwenden zu müssen“, sagt Heer.
Alle Träger müssen Schutzkonzept erarbeiten
Beim SSV Elspe hat die Ausbildung noch einen weiteren, gewichtigen Grund. Pfingsten reist die C-Jugend des Vereins mit Betreuerinnen und Betreuern in die Türkei zur Partnerstadt Çayçuma. „Da die Reise mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, ist ein solcher Sensibilisierungskurs verpflichtend“, sagt Lothar Wittwer, Vorsitzender der Jugendabteilung. 2021 wurde im NRW-Kinderschutzgesetz festgehalten, dass sich alle Träger von Kinder- und Jugendarbeit mit dem Thema Kindeswohlgefährdung, im Fachjargon abgekürzt KWG, auseinandersetzen und ein Kinderschutzkonzept schreiben müssen, berichtet Matthias Heer. Vereinskräfte müssen alle drei bis fünf Jahre ein Führungszeugnis vorweisen können sowie eine Selbstverpflichtung unterschreiben. Das zum formalen, bürokratischen Teil.
Doch wie erkennt man einen Fall von KWG? Die Symptome, erläuterte Heer, sind vielfältig: falsche Ernährung, unversorgte Wunden, keine witterungsgemäße Kleidung, Verzögerung der Sprachintelligenz, Apathie, Aggressivität, Verschlossenheit, Regellosigkeit, Essstörungen oder Einnässen sind nur einige davon.
"Hinschauen, auch bei sich selbst"
Was mache ich dann als Verantwortlicher? „In erster Linie: Ruhe bewahren. Sprechen Sie sich im Leitungsteam ab, suchen Sie gemeinsam mit dem Vorstand nach Lösungen. Wenn alles darauf hindeutet, dass ein Kind umgehend Hilfe benötigt, schalten Sie das Jugendamt ein. Wir sind rund um die Uhr erreichbar über Polizeistellen, denen unsere Notrufnummer bekannt ist“, sagt Matthias Heer.
Anhand einer plakativen Übung mit einer Büroklammer namens „Jule“, die jeder im Raum bekam, verdeutlichte Heer die Folgen von Kindeswohlgefährdung. Jule steht vor Angst vor ihrem Vater strack wie eine Eins, wünscht sich insgeheim auszusehen wie eine schöne Blume. Als die SSV-Mitglieder Jule in ihre Ursprungsform als Büroklammer zurückbiegen sollen, wird allen klar: Jule ist deformiert. „Ein junger Mensch, der Gewalterfahrung gemacht hat, wird nie mehr wie vorher sein“, schloß Matthias Heer, deshalb sei wichtig: Hinschauen, auch bei sich selbst, Sie sind Schutzengel für junge Menschen.
"Rüstzeug für die Zukunft"
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des SSV Elspe und der Vereine aus Oedingen, Oberelspe und Halberbracht erhielten nach zweieinhalb Stunden bedrückender und bewegender Schilderung von Kindeswohlgefährdung ein Zertifikat von Matthias Heer. „Wir als SSV Elspe haben jetzt wichtiges Rüstzeug erhalten nicht für die Fahrt in unsere Partnerstadt Çayçuma, sondern auch für die Zukunft der Kinder, die uns anvertraut werden“, sagte Lothar Wittwer.